Bereits im Herbst 2015 hatte ich mich um einen Startplatz beim Sri Chinmoy Marathon Swim beworben, wurde aber leider abgelehnt. Es gibt deutlich mehr Bewerber als freie Plätze – aber wer schon einmal abgelehnt wurde, hat bei einem erneuten Anlauf bessere Chancen. Im Anmeldeformular gibt es sogar ein Feld „Ich habe mich angemeldet aber keinen Platz erhalten, in den Jahren … „, welches mir in der Tat einige Bonus-Punkte bescherte: ich wurde dieses Mal angenommen!
Parallel hatte ich mich auch für einen 27 km Wettkampf in Galizien angemeldet und bekam dort ebenfalls eine Zusage. Aber da ich ja früher einige Jahre in Thalwil direkt am Zürisee gelebt hatte und somit mit diesem See sehr viel Schönes verband, entschied ich mich für diesen Wettkampf und sagte in Nordspanien ab.
Ich hatte von 2006 bis 2009 ein Apartment mit Seeblick – damals allerdings war ich noch kein passionierter Schwimmer, sondern war so gut wie jedes Wochenende mit dem Rennrad oder Mountainbike in den Alpen unterwegs. Damals wäre es für mich unvorstellbar gewesen, den See allein schwimmend in der Breite zu überqueren – geschweige denn eine Längsquerung hinzulegen. Es war für mich ein besonders schönes und aufregendes Erlebnis, nach gut 10 Jahren wieder an den Zürisee zurückzukehren und an meinem damaligen Wohnort vorbeizuschwimmen.
Der Sommer 2018 war ja von Trockenheit und viel Sonne geprägt – für den Landwirt ein Fluch – für mich hingegen ein großer Segen, denn Langstrecke trainiere ich am liebsten im Freiwasser – das Schwimmbad nutzte ich einmal pro Woche für Sprints und Tempowechsel.
Von Juni bis Ende Juli trainierte ich meist zweimal pro Woche im südwestlich von München gelegenen Wörthsee. Nur einmal machte ich meine Schwimm-Einheit im Starnberger See – aber da ich in der Nähe von der Roseninsel einmal einem Dampfer gefährlich nah kam, entschied ich mich, nur noch im Wörthsee zu trainieren. Dort gibt es zum einen keine Ausflugs-Dampfer und keine Motor-Boote, zum anderen verhalten sich die Segelboot-Fahrer erfahrungsgemäß sehr rücksichtsvoll – dort kam es bei meinen zahlreichen Freiwasser-Einheiten (auch im Folgejahr darauf) nicht zu einem einzigen Beinah-Unfall oder Kollision.
Um die Verpflegung zu trainieren, hatte ich stets meine Donut-Boje dabei: darin verstaute ich Energie-Riegel, BCAA-Amino-Kapseln und ein isotonisches Getränk – Maxim, was auch die Channel-Swimmer häufig nehmen. Ich vertrage dieses Pulver sehr gut und war auch einige Jahre zuvor bei meiner Bodensee-Dreiländerquerung sehr gut damit gefahren.
Meine Schwimm-Einheiten beliefen sich zwischen 8 und 15 km. Zunächst umrundete ich den See – startend am Kiosko in Steinebach – im Uhrzeigersinn – das macht schonmal ca. 9 km. Je nach Kondition legte ich noch einige Kilometer drauf – schwamm z.B. nochmal 3 km längs des Ufers und wieder 3 km zurück. Der Flow stellte sich meist sehr schnell ein – und der Vibrations-Alarm meiner Triathlon-Uhr erinnerte mich alle 30 Minuten daran, meine Speicher wieder aufzufüllen. Erstaunlich, wie schnell diese 30 Minuten vergingen, und wie schnell plötzlich 3 oder 4 Stunden um waren! Übrigens tat ich eine andere Triathlon-Uhr in die Boje, um die exakte Kilometerzahl zu wissen – und das war auch gut so: während beispielsweise meine Uhr am Handgelenk wegen des Signal-Verlustes während der Unterwasser-Phase die Strecke nur interpolieren konnte und in der Regel viel zu viele Kilometer (z.B. 12 statt der realen 10.5) anzeigte, war die andere Uhr in der Boje wesentlich realistischer und bescherte mir ab und zu eine gewisse Ernüchterung bezüglich meiner Schwimm-Geschwindigkeit! Aber ich wollte ehrliches Feedback haben und nicht irgendwelche geschönten Paces präsentiert bekommen – denn schließlich möchte ich nicht beim Wettkampf selbst zum ersten Mal die große Ernüchterung erleben!
Im Gegensatz zu meiner Bodensee-Dreiländerquerung im Sommer 2015 wollte ich nicht den Fehler machen, zu wenig für den Wettkampf zu trainieren. Meine Faustregel lautete dieses Mal: das was ich im Wettkampf an Kilometern schwimmen werde, müssen ungefähr auch als Wochen-Kilometer trainiert werden – somit achtete ich darauf, pro Woche insgesamt ca. 26-30 km zu schwimmen.
Hier übrigens mein GPS-Track vom 13. Juli 2018 – es waren genau 15.5 km – man sieht sehr schön, wie glatt die Linien dargestellt sind – eben weil die Uhr sich in der Boje befand und daher kontinuierlich Satelliten-Verbindung hatte!
Der Veranstalter des Sri Chinmoy Marathon Swims stellte gegen Aufpreis von CHF 270 ein Begleitboot plus Skipper zur Verfügung – für meine Begriffe ein absolut fairer Preis. Allerdings benötigte ich zusätzlich einen Helfer, der es sich zur Aufgabe machen würde, mich während der Verpflegungs-Stopps zu „füttern“ und zudem mein Schwimmen per Foto und Video zu dokumentieren. Da ich niemanden aus dem Verein fragen wollte (alleine schon wegen der Anfahrt), inserierte ich im Zürcher alternativen Szene-Magazin Ron Orp – gegen Bezahlung sollte mich jemand einen ganzen Tag lang begleiten und nach einem Briefing die anfallenden Aufgaben selbstständig erledigen. Die Resonanz auf meine Annonce war überwältigend – damit hatte ich (vor allem in der wohlhabenden Schweiz) partout nicht gerechnet. Quasi im Stunden-Takt trudelten Bewerbungs-Mails bei mir ein – und recht schnell entschied ich mich für einen jungen Mann namens Jiri, der sich nicht nur als Fotograf und Filmer positionierte, sondern auch als Langstrecken-Schwimmer.
Jetzt stellte sich mir nur noch die Frage, wie ich meine Ernährung während der 10 oder mehr Stunden Schwimmen optimieren konnte. Über Facebook bekam ich Kontakt zu Bernhard, einem Apotheker aus Roth. Bernhard hat bereits eine Extrem-Schwimmerin ernährungstechnisch betreut – und ich persönlich war mehr als überrascht, als ich mit ihm telefonierte, und Bernhard mir freigiebig wertvolle Ernährungs-Infos preisgab! Es waren neutrale Infos, d.h. Bernhard wollte keine Produkte aus seiner Apotheke verkaufen. Stattdessen sagte er mir, dass ich mich mit BCAA, Magnesium, Arginin etc. eindecken sollte sowie mit MCT – das sind mittelkettige Fettsäuren – letztere habe ich allerdings während meines Trainings nicht vertragen, daher strich ich sie aus meinem „Speiseplan“, welcher am Big Day folgendermaßen aussah:
Übrigens habe ich während der letzten 7 Tage vor dem Big Day meine Ernährung angepasst, und zwar folgendermaßen:
Ich hatte ja drei Jahre zuvor während meiner Bodensee-Dreiländerquerung enorme Schmerzen in meiner linken Schulter, so dass ich ab der zweiten Streckenhälfte Schmerzmittel einwarf, was aber auch nicht besonders half. Sozusagen als Prophylaxe liess ich einige Mal von einen Physiotherapeuten meine beiden Schultern behandeln. Und – wie wir später noch sehen werden – hatte ich während des gesamten Schwimmens keine Anzeichen von Schulterschmerzen und konnte sogar am Tag darauf wieder schwimmen! Für mich eine absolut lohnenswerte Aktion, mich auf die Liege des Masseurs zu legen!
Am Freitag fuhr ich mit dem ICE-Bus von München nach Zürich, von dort aus weiter mit dem Zug nach Rapperswil. Während der schönen Zugfahrt entlang der sog. Goldküste des Zürisees wurde mir erst einmal bewußt, welche Strecke ich am übernächsten Tag zu schwimmen gedachte. Ich übernachtete in einem Hotel in Rapperswil, von welche ich gerade einmal 5 Minuten Fußweg zum Seebad Rapperswil hatte – denn genau dort sollte der Schwimmstart erfolgen.
Abends machte ich einen Spaziergang und schaute mir das Seebad von der Burg oberhalb an (s. erstes Foto) und genehmigte mir anschließend italienische Pasta zwecks Carboloading.
Am Samstagvormittag fuhr ich zum Zürcher Hauptbahnhof und traf mich dort mit Jiri, den ich ja über Ron Orp als Unterstützer und Fotograf gewinnen konnte. Jiri kommt aus der Tschechei und lebt seit einigen Jahren in Zürich, spricht im Gegensatz zu mir sogar sehr gut Schwiitzerdüütsch! Wir gingen in ein Café und lernten uns erst einmal kennen, hielten etwas Smalltalk, bevor es dann in Media Res ging: ich überreichte Jiri einen selbstgemachten Leitfaden, den ich in Folie eingeschweißt hatte, denn so etwas hält sich auf dem Boot wesentlich besser als nur ein Stück Papier. Auf dem Dokument stand neben der o.g. Getränkezubereitung auch, dass Jiri mich im Fall eines mentalen Einbruchs motivieren und mich so gut wie möglich von einem Wettkampf-Abbruch abhalten sollte. Auch gab ich ihm zu verstehen, dass ich unterwegs keine Zeiten erfahren wollte (das hob ich mir für meinen Finish auf) und überhaupt, dass er niemals Feedback geben sollte so nach dem Motto „du siehst aber fertig und mitgenommen aus!“ – dass Fotos während eines Wettkampfes nicht unbedingt tauglich für Dating-Apps sind, versteht sich meiner Ansicht von selbst. Wir redeten ca. eine Stunde miteinander und verabredeten uns für den nächsten Morgen: Jiri würde mit der ersten S-Bahn nach Rapperswil kommen und mir von unterwegs eine WhatsApp-Nachricht schicken, damit ich mir keine Sorgen machte.
Als ich mit der Bahn wieder zurück nach Rapperswil fuhr, sprach mich ein etwa gleichaltriger Mann namens Amalendu an: Amalendu kommt aus Australien und wollte von mir wissen, wie man zur Wettkampfbesprechung des Sri Chinmoy Marathon Swims kommt – und voilà: mit seiner Intuition, mich anzusprechen, lag er goldrichtig! Im Zug unterhielten wir uns ausführlich – und Amalendu sagte mir, dass er in einer Zweier-Staffel schwimmt – „you must be very fit“ war seine Reaktion darauf, dass ich als 54-jähriger die gewaltige Strecke alleine zu schwimmen gedachte.
Mittags kaufte ich noch ein Sixpack Stilles Wasser, damit Jiri mir unterwegs meine Getränke mit Maxim und weiteren Zutaten zubereiten konnte – insgesamt ist solch ein großes Schwimmen nicht nur eine athletische, sondern auch eine logistische Herausforderung!
Am Samstagnachmittag fand die Registrierung und das Briefing im Gebäude der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) statt. Dort traf ich übrigens Amalendu wieder – wie auf dem Foto unten unschwer zu erkennen, ist Amalendu ein sehr lebenslustiger und heiterer Mensch!
Bei der Registrierung wurde jeder Teilnehmer fotografiert (und zwar für die Urkunde, wie sich später herausstellte), und anschließend fand in einem Hörsaal das Briefing mittels Beamer statt. Uns wurden einige markante Punkte (Stäfa – Meilen – Goldbach – etc.) aus der Wasser-Perspektive gezeigt, damit wir am nächsten Tag abschätzen konnten, wo wir uns in etwa befanden. Auch wurde darauf hingewiesen, dass wir möglicherweise bei Meilen (da gibt es eine Fährverbindung nach Horgen) kurz stoppen müssten, wenn die Fähre in der Nähe sein sollte. Zusätzlich klärte man uns auf, dass wir uns unterwegs nicht erschrecken sollten, wenn das Begleit-Motorboot mal kurz vollspeed abrauscht und eine Runde dreht: dies sei wichtig, um den Motor zu schonen. In der Tat passierte dies übrigens während meines Schwimmens ca. drei bis viermal.
Hier ein Foto von mir nach dem Briefing in Rapperswil: sowohl dort, als auch am nächsten Tag bei der Siegerehrung trug ich das Trikot von Exathlon München, um meinen frechen Verein würdig zu vertreten 🙂
Beim Briefing traf ich übrigens Katja aus Speyer wieder: wir hatten uns drei Monate zuvor bei einem Swim-Camp am österreichischen Fuschl-See kennengelernt. Im Gegensatz zu mir wollte sie von vorne herein nur die Hälfte der Strecke schwimmen und das Event eher als Erlebnis- und Genusstour erleben – durchaus auch eine gute Option, wie ich fand! Abends traf ich mich mit Katja zum Essen und ging bereits um 22h ins Bett, da der Schwimm-Start am nächsten Morgen bereits um 7h erfolgte.
Die Nacht über habe ich nicht besonders gut geschlafen – zu groß war die Aufregung vor diesem Marathon Schwimmen – und außerdem beunruhigte mich immer wieder der Gedanke, bei der Logistik nicht doch irgendetwas vergessen zu haben. Ich stand um 5h30 auf und schlenderte mit Gepäck und dem Sixpack Wasser zum Seebad. Gott-sei-Dank war es nur ein kurzer Fußweg von 5 Minuten – denn sonst wären mir wegen des Wassertransports die Arme abgefallen.
Es war sogar früh morgens angenehm warm, und während der Dämmerung wirkte der See sehr schön und sogar etwas mysthisch. Wie gut, dass das Wetter mitgespielt hatte, denn bei Regen und Kälte wäre ich nicht so motiviert gewesen. Eine friedliche Atmosphäre lag in der Luft.
Im Seebad waren schon recht viele Leute – da jeder entweder aufgeregt oder müde war, herrschte eine sehr ruhige, aber friedliche Atmosphäre!
Das „Badi“ – wie man auf schweizerdeutsch sagt – bestand aus einem Holz-Ponton. Was ich nicht wusste: der rechte Teil ist für Frauen, der linke Teil für Männer reserviert. Als ich mich zunächst im rechten Teil aufhielt, wurde ich höflich, aber bestimmt von einer Organisatorin darauf hingewiesen, dass ich doch bitte in den anderen Bereich wechseln sollte. Obwohl ich von Natur aus frech bin, leistete ich der Anweisung Folge 🙂
Auf dem Ponton gab es eine Leiter zum oberen Bereich – ich wollte wissen, ob dort oben auch etwas stattfand und kletterte hoch. Zu meinem Erstaunen sah ich nicht wenige Athleten dort auf dem Boden sitzend meditieren, vor sich jeweils ein Foto vom spirituellen Lehrer Sri Chinmoy, auf den dieses Schwimmen zurückgeht. Ich hatte übrigens 8 Monate zuvor ein Meditations-Wochenendseminar in München besucht und kannte die Philosophie, die sich hinter der Lehre von Sri Chinmoy verbirgt: kurz zusammengefasst geht es darum, durch inneren Frieden und durch die Verbindung zu Gott (hier mit „Supreme“ bezeichnet) sportliche Höchstleistung zu erzielen – Stichwort: Self-Transcendance!
Kurze Zeit später traf auch Jiri ein, und wir frühstückten erst einmal – obwohl: wegen meiner Aufregung bekam ich nicht viel herunter. Der Veranstalter stellte Gebäck, Obst, Tee und Kaffee zwecks Stärkung zur Verfügung.
Bald kam auch das Begleitboot und machte an einem Holzponton fest – ein nettes junges Schweizer Pärchen (leider weiß ich deren Vornamen nicht mehr – schade!) würde mich jetzt über Stunden begleiten. Der junge Skipper (seine Freundin saß neben ihm) meinte, dass sie letztes Jahr einen Extrem-Schwimmer begleitet hatten, der das Ganze in ca. sieben Stunden gefinished hatte. „Damit kann ich leider nicht dienen“, gab ich ihm zur Antwort, denn ich rechnete mit ca. 10 Stunden – abhängig natürlich auch von Wind und Wellen. Während ich mich in meine Schwimm-Montur begab und mich mit Vaseline einschmieren ließ, bepackte Jiri das Begleitboot mit dem gesamten Proviant und befestigte meine Startnummer „M75“ am Boot, so dass man von außen gut sehen konnte, wer sich wo befand.
Während der letzten 20 Minuten vor dem Start kam dann doch leichte Hektik auf – übrigens auch bei mir: als ich wenige Minuten vor dem Start noch einmal zum Begleitboot ging um mich zu vergewissern, dass das gesamte Proviant vorhanden war, stellte ich plötzlich fest, dass die große schwarze Dose mit dem Maxim-Pulver fehlte – ich rannte schnell zu dem Platz, wo ich mich umgezogen hatte und sah die Dose dort mutterseelenalleine stehen – wie gut, dass ich dies noch rechtzeitig bemerkt hatte, denn ohne dem Pulver wäre sehr wahrscheinlich das Rennen gelaufen gewesen. Anschließend zog ich mir noch ein flüssiges Gel rein und spülte mit Wasser nach. Dann begab ich mich – wie alle anderen auch – ins Wasser und platzierte mich hinter der Trennlinie – rot-weiße Holzbalken – ganz rechts, um nicht zu intensiven Kontakt mit anderen Schwimmern zu haben – denn gerade beim Start versuche ich, Fußkontakt mit anderen schnelleren Schwimmern zu vermeiden.
Auf dem Foto unten bin ich der Schwimmer ganz rechts mit der roten Badekappe. Man sieht sehr schön, dass die meisten Schwimmer sich „strategisch günstig“ links eingereiht haben. Aber mal ganz ehrlich: bei einer Strecke von knapp 30 km sind diese 10m Unterschied mehr als irrelevant, oder?
Punkt 7h erfolgte der Countdown „ten – nine – eight ….“ und bei „zero“ ertönte die Sirene. Jetzt galt es zunächst einmal, das Begleitboot zu finden. In manchen Blogartikeln hatte ich zuvor gelesen, dass dies nicht immer leicht sei, und so mancher Schwimmer 10 Minuten oder mehr quasi ziellos umher schwimmen musste, um sein Boot zu finden. Bei mir ging es erstaunlich gut, und nach knapp 5 Minuten hatte ich mein Boot auf meiner linken Seite und konnte mich voll und ganz auf’s Schwimmen und auf meinen Rhythmus konzentrieren.
Die ersten 6 Kilometer bis Stäfa verliefen sehr gut – ich kam recht schnell in meinen Flow – und die 30 Minuten bis zum jeweiligen Verpflegungs-Stop vergingen wie im Flug. Das Schwimmen hatte – fast schon gemäß der Philosophie des Meisters Sri Chinmoy – etwas meditatives. Da ich ja beim Schwimmen stets zur linken Seite atme, hatte ich über längere Zeit einen sehr schönen Ausblick auf den 1096 m hohen Etzel oberhalb von Pfäffikon. Als ich damals noch in der Schweiz lebte, hatte ich diesen Hausberg mehrere Male mit dem MTB oder Rennrad bezwungen und mir auf der Passhöhe stets ein Weißbier gegönnt. Es war sehr schön, diese Erinnerungen während meines Schwimmens gedanklich Revue passieren zu lassen. Auf dem zweiten Foto (aufgenommen um 7h40) kann man sogar ganz links hinten den Ort Pfäffikon und den Hausberg Etzel erkennen.
Bei Stäfa macht der See einen leichten Knick nach rechts – und plötzlich (d.h. gegen ca. 9h morgens) kamen Wind und Wellen auf. Und zwar von vorne, so dass es zunächst einmal mit meinem Flow vorbei war. Surprise, surprise! Ich war ein Rookie und hatte von nichts eine Ahnung! Ich musste an diesem Tag fast leidvoll erfahren, dass Freiwasser-Schwimmen weder ein Wunschkonzert, noch ein Kindergeburtstag ist! Wellen klatschten mir ins Gesicht – und es war schwer, den Rhythmus beizubehalten. Außerdem schwappte mir beim Einatmen immer wieder eine ordentliche Portion Seewasser in den Mund – wie gut nur, dass das Seewasser sauber, rein und nicht salzig (wie das ja im Ärmelkanal der Fall ist) war! Der See mit den Bergen links und rechts glich wie ein Windkanal. Mit solch einem Wind hatte ich frühestens ab 14h oder 15h gerechnet – aber nicht so früh! Jetzt galt es, mentale Stärke an den Tag zu legen und nicht zu resignieren. Ich hegte immer wieder die Hoffnung, dass der Wind sich irgendwann einmal legen würde – das tat er auch – aber erst, als ich mit meinem Schwimmen längst fertig war. Mental habe ich mir mit folgendem inneren Dialog beholfen: „du hast ausreichend im Wörthsee trainiert und hast sogar die ganze Zeit eine Boje mit Proviant hinter dir her geschleppt – auch musstest du immer wieder gegen Kabbelwellen kämpfen. Jetzt bist du frei – ohne Boje – und es ist DEIN Tag – jetzt mach‘ das Beste draus!“. Dieser innere Monolog half mir sehr, mich am Riemen zu reißen und bis zum Schluss durchzuschwimmen.
In Meilen – also dort, wo die Fähre nach Horgen geht – hatte ich ungefähr die Hälfte der Strecke geschafft! Es gab ein Cut-off: wer Meilen nicht bis 13h30 erreichte (also nach 6.5h bei 14 km), wurde aus dem Rennen genommen – naja, in Betracht meines geringen Körpergewichts wäre das sicherlich kein Problem gewesen, mich aus dem Wasser zu ziehen 🙂 Ich erreichte Horgen (2. Foto) genau um 12h18 – also war ich noch gut im Rennen.
Im Nachhinein kann ich kaum sagen, was alles nach Meilen passierte – trotz Wind und Wellen war ich in meinem Flow und genoß den See und das atemberaubende Panorama! Die Zeit schien irgendwie stillzustehen. Da ich ja meinem Begleiter Jiri am Vortag ausdrücklich gesagt hatte, er solle mir keine Zeiten durchgeben, hatte ich absolut kein Zeitgefühl – konnte nur ungefähr und Pi mal Daumen anhand des Sonnenstandes abschätzen, ob nun Vormittag, Mittag oder Nachmittag war. Wie gesagt, die 30 Minuten bis zur nächsten Pause vergingen jeweils wie im Fluge! Nur einmal sah ich, wie auch Jiri ins Wasser sprang und knapp einen Kilometer mit schwamm. Was einem beim Langstrecken-Schwimmen durch den Kopf geht, kann man nicht beschreiben – man verliert quasi das Zeitgefühl – und man muss es selbst erlebt haben, um es nachvollziehen zu können. Freiwasserschwimmen ist mit dem Kachelzählen im Schwimmbad absolut nicht zu vergleichen! Bei längeren Strecken greife ich übrigens immer wieder bestimmte Aspekte meiner Schwimmtechnik auf und schaue beispielsweise, wie ich mit den Händen eintauche (in welchem Winkel, ob eher mittig oder außen), ob mein Beinschlag ok ist (also Vermeiden des sog. Scherenbeinschlags), usw.
Auf dem Begleitboot herrschte gute Stimmung – diese wurde noch besser, als das Ziel bereits in Sichtweise war. „Man sieht es Ziel vom Boot uss“ rief der Skipper in seiner schweizerdeutschen Mundart – und dann rief die Crew mir zu „go, Uli, go – go Uli go!“. Und plötzlich ertönte von Bord aus durch einen Brüllwürfel der Song „Eye of the Tiger“ von Survivor: dieses kraftvolle Lied motivierte mich, noch mal alles zu geben und den Pace zu beschleunigen!
Irgendwann war mein Ziel in greifbarer Nähe. Es kamen Wolken auf, der Wind wurde stärker, und ich begann sogar etwas zu frieren. Jiri sagte mir später im Ziel, das man mir mein Frieren angemerkt hätte, und er ganz bewusst gen Schluss die Abstände zwischen den Verpflegungspausen erhöht habe, damit ich schneller ans Ziel kam! Auf dem Bild unten sieht man meine letzten Meter vor dem Ziel – ganz rechts das Badi Tiefenbrunnen – der Ausstieg war genau dort, wo die Ballons hingen.
Endlich – nach 10h 52min erreichte ich die Treppe und hatte etwas Schwierigkeiten, wieder in die Vertikale zu kommen. Gleich hielt auch der Fotograf mit seiner Kamera auf mich drauf und machte einige Fotos – übrigens war es derselbe Fotograf, der mich auch einen Tag zuvor bei der Registrierung abgelichtet hatte – es war ein gemütlicher und sympathischer Schweizer, der mir erst einmal zuwarf „lass dir ruhig Zeit, deine Zeit mit deiner Uhr zu stoppen“, bevor er mich fotografierte.
Als ich dann so stand, kam auch gleich eine Moderatorin mit Mikrofon und wollte wissen, wie es mir beim Schwimmen ergangen war. Ooops – da wurde ich mal wieder ins kalte Wasser geworfen, nachdem ich das relativ warme Wasser gerade verlassen hatte. Das ca. 5 Minuten lange Interview wurde auch noch live per Lautsprecher im Schwimmbad übertragen. Ich fühlte mich ein wenig überrumpelt, und so sagte ich, dass das Schwimmen vor einer so schönen und atemberaubenden Kulisse einfach einzigartig war, ich aber sehr mit den Kabbelwellen zu kämpfen hatte. Ich fügte hinzu, dass dieses Schwimmen wegen der Wellen härter war als meine Bodensee-Dreiländerquerung drei Jahre zuvor, ich aber für den Zürisee-Schwumm besser vorbereitet war. Und da ich den Spirit von Sri Chinmoy nicht ganz unerwähnt lassen wollte (zudem ich ja auch täglich meditiere), betonte ich, dass ich meine Kraft während des Schwimmens auch aus dem „Supreme“ (Synonym für Gott oder das Allerhöchste oder was auch immer man sich unter einer Gottheit vorstellt) gezogen habe – ob das so stimmt? Zumindest bin ich sicher, dass meine Gels und Energie-Riegel ein Duracell-Häschen aus mir gemacht haben.
Das Badi (also Freibad) wirkte wie ein Volksfest – es gab zudem einige Stände, an denen vegetarische Gerichte serviert wurden. Diese Gerichte waren sehr gut gewürzt und liebevoll zubereitet. Man muss dazu sagen, dass alle Menschen, die der Lehre von Sri Chinmoy folgen, grundsätzlich Vegetarier sind.
Zwecks Stärkung holte ich mir eine Ration und begann zu mampfen. Plötzlich kam eine junge Frau – Sandra Hornig – zu mir und meinte, dass sie bei meinem Interview mitbekommen habe, dass ich die Bodensee-Dreiländerquerung gemacht hätte. Sie wollte einige Details über dieses Schwimmen wissen, zumal sie in absehbarer Zeit ebenfalls die Dreiländerquerung schwimmen wollte. Abschließend meinte sie zu mir, dass sie ein klein wenig früher als ich im Ziel war – was für ein sympathisches Understatement: während ich fast 11h für die knapp 30 km gebraucht hatte, machte sie das Rennen in 7h 39min. Und nicht nur das: ein Jahr später finishte sie beim gleichen Sri Chinmoy Marathon Swim in 6h 51min. D.h. roundabout ist sie durchgängig mit ca. 4 km/h bzw. mit einem Pace von 1:30 auf 100m geschwommen! Für mich als Rookie (= habe ja erst mit 49 Jahren so richtig mit dem Schwimmen begonnen) absolut übermenschlich! Für mich persönlich ist es ein Balanceakt, einerseits das Meiste aus meinen persönlichen Gegebenheiten (sprich: Alter, Schwimm-Historie, Körperbau, etc.), herauszuholen, andererseits aber auch eine gewisse Gelassenheit zu leben, bei der es eben nicht mehr darum geht, die Grenzen bis ins Unermessliche zu pushen, sondern einfach mit dem Erreichten zufrieden zu sein! Und das war ich auch: für mich war wichtig, diese lange Distanz überhaupt und ohne mentalen Einbruch durchzuhalten!
Am Ziel traf ich übrigens Amalendu wieder – nach wie vor so lebenslustig wie am Tag zuvor. Auch er hatte das Schwimmen in seiner Zweier-Staffel erfolgreich gemeistert!
Katja aus Speyer traf ich natürlich auch – sie war ja schon einige Stunden vorher im Badi, weil sie nach ca. 13 km das Schwimmen abgebrochen hatte. Sie meinte, dass sie mich von ihrem Begleitboot aus beobachtet hatte und feststellte, dass ich offenbar nicht geradlinig, sondern eher zickzack-förmig geschwommen sei. Naja, so konnte ich mir meine Schwimmzeiten im Nachhinein schön rechnen 🙂 Katja erwähnte, dass sie inzwischen mit einer spirituellen Frau vom Sri Chinmoy Team gesprochen hatte: diese Frau muss gesagt haben, dass der Zürisee eine sehr positive und friedliche Energie habe, und es bis dato bei all den alljährlich stattfindenden Marathon-Swims noch zu keinem Unfall oder Zwischenfall gekommen sei. Ich persönlich kann nur sagen, dass dieser See auf mich sehr angenehm und beruhigend, aber auch kraftspendend wirkt – mir tat der See einfach gut, als ich drei Jahre lang in Thalwil gelebt hatte.
Am späten Nachmittag erfolgte die obligatorische Siegerehrung. Ich selber schaffte es mit AK50 Neo auf den 3. Platz – obwohl ich fairerweise zugeben muss, dass es in dieser Kategorie kaum Konkurrenz gab. Ich bin ja trotzdem ohne Neo geschwommen, konnte oder durfte aber kurzfristig die Kategorie nicht wechseln. Der Veranstalter schrieb uns eine Woche zuvor per Mail, dass alle Neo-Schwimmer die Möglichkeit hätten, während des Schwimmen den Neo auszuziehen und ohne Neo weiterzuschwimmen. Das kam für mich allerdings nicht in Frage: entweder ganz ohne oder ganz mit Neo!
Insgesamt war ich mit dem Wettkampf sehr zufrieden! Ich hätte mir nur eine „bessere“ Zeit (d.h. 10h oder darunter) gewünscht – andererseits sind die Zeiten beim Freiwasserschwimmen nicht so verläßlich wie beim Beckenschwimmen: Wind, Wellen, Strömungen können einem immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Übrigens hatte der Veranstalter bei der Anmeldung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir bei der Zeit-Schätzung mit 30 statt mit 26 km rechnen müssten. Dies hat sich mehr als bewahrheitet!
Die anfangs befürchteten Schulterschmerzen blieben aus! Ich konnte sogar am Folgetag (den ich in Zürich verbrachte) wieder schwimmen – wenn auch nur eine recht kurze Strecke zwecks Abkühlung und Relaxen.
Freiwasser-Schwimmen kann seine Tücken haben. Daher unbedingt auch längere Strecken bei nicht optimalen Wetterbedingungen (Wind) trainieren und nicht auf den Moment warten, wo der See spiegelglatt ist. Gerade auch das Schwimmen mit Kabbelwellen will trainiert sein!
Abschließend noch ein YouTube-Video von meinem Schwimmen.