Vorbereitung
Bereits im April 2017 hatte ich in unserer Exathlon Facebook-Gruppe geposted, dass ich im Sommer gerne den 14 km langen „Oceanman Italia“ schwimmen möchte. Auf meine Frage hin, ob noch jemand diese Strecke mit mir schwimmen wolle, meldeten sich zwar einige aus dem Schwimmverein, entschieden sich aber später wieder dagegen – Hauptgrund war die lange Fahrtzeit von über 6 Stunden mit dem Auto. Der Ortasee liegt im Norden Italiens, zwischen Mailand und der Schweizer Grenze sowie westlich vom Lago Maggiore.
Im Alleingang buchte ich Hotel und einen Hin- und Rückflug mit easyjet nach Milano-Malpensa.
Aber zunächst brauchte ich eine ärztliche Wettkampf-Tauglichkeits-Bescheinigung! Die Italiener sind da bei Extrem-Wettkämpfen (gilt übrigens auch für den Marathon-Lauf) stringent und lassen einen nicht starten, bevor man ein ärztliches Dokument vorlegt. In München fand ich einen Sport-Arzt, der mich gründlich durchcheckte: Belastungs-EKG auf dem Laufband, Lungentest, Laktat-Test und vieles mehr. Als mir der Arzt das ersehnte Dokument unterschrieben aushändigte, meinte er zu mir, dass ich durchaus sehr fit und gesund sei – nur müsse ich das Carbo-Loading ernster nehmen, da seiner Meinung nach meine Speicher nicht optimal gefüllt seien! Wortwörtlich sagte er: „Wenn Sie nicht richtig Carbo-Loading betreiben, fühlt sich Ihr Schwimmen so an, als ob sie von einem Gummiband nach hinten gezogen würden – erst recht bei den langen Distanzen, die Sie bewältigen!“. Dies nahm ich als wertvollen Hinweis mit.
Anreise und Wettkampfbesprechung
Früh morgens flog ich von München nach Mailand bei strahlendem Sonnenschein. Von Malpensa fuhr ich mit dem Bus zunächst nach Omegna, der nördlichste Ort des Ortasees, wo auch der Wettkampf am Folgetag starten sollte. Es war zudem über 30 Grad heiß, und die Fahrt vom Flughafen nach Omegna erwies sich als sehr mühsam, zumal ich auch noch einmal umsteigen und eine halbe Stunde auf den Anschluss-Bus warten musste.
Um von Omegna zum Hotel in Pettenasco zu gelangen, musste ich mit dem Zug fahren – der nächste Zug fuhr allerdings erst in über einer Stunde. Mit meinem Gepäck schlenderte ich durch die Mittagshitze und war etwas erschöpft. Also setzte ich mich in ein Eiscafé und betrieb im Vorfeld schon einmal ein wenig Carbo-Loading.
Nach meiner „wohlverdienten“ Pause in Omegna nahm ich den Zug und fuhr ca. 7 km weiter nach Pettenasco, wo sich mein Hotel Giardinetto befand. In Pettenasco angekommen, stellte ich fest, dass es zum Hotel noch ein langer Fußweg entlang serpentinenreicher Straßen war. Ich hielt kurz inne, schnappte mir mein Smartphone und rief im Hotel an. Kurze Zeit später kam auch tatsächlich ein Mitarbeiter des Hotels mit dem Auto vorbei und nahm mich mit ins Hotel. „Nochmal gut gegangen“, sagte ich mir – aber daraufhin stellte ich mir die nächste Frage: „wie komme ich heute Abend zur Wettkampfbesprechung und erst recht morgen früh zum Wettkampf?“ Beides war am Lido di Gozzano – am südlichen Ende des Sees. Das Hotel lag zwar direkt am See – aber bis zum Lido di Gozzano waren es ca. 7 km entlang einer serpentinenreichen Straße ohne Fußweg – und Busse fuhren dort nicht!
Im Hotel angekommen, fragte ich gleich an der Rezeption, ob nicht noch andere „Verrückte“ dort einquartiert seien, die ebenfalls den Oceanman schwimmen wollten. Die Rezeptionistin entgegenete mir, dass drei Belgier wegen des Oeanmans hier seien – sie habe soeben gesehen, dass sie zum Hotel-Ponton gegangen seien, um dort zu schwimmen.
Ich ging auf mein Zimmer, stellte meine Sachen ab und ging mit Badezeug direttamente zum Ponton. Ich hatte wegen der Hitze dringend etwas Abkühlung nötig.
Am Ponton angekommen sah ich ca 50m vom Ufer entfernt eine große gelbe Pyramiden-Boje – extra für den morgigen Wettkampf platziert. Wie sich später herausstellte, diente diese nicht nur der Orientierung – unter Wasser waren Detektoren angebracht, welche mit dem Fuß-Chip kommunizierten, die jeder Schwimmer tragen musste.
Plötzlich hörte ich auf der Höhe der Boje drei junge Männer sich etwas in französischer Sprache zuriefen. „Volià“, dachte ich – „da sind sie ja, die drei Belgier!“ und schwamm sofort zu ihnen. Ich kramte all meine Französisch-Kenntnisse zusammen und stellte mich vor. Es stellte sich heraus, dass nur einer – Guillaume – mit mir die 14 km schwimmen würde – die beiden anderen gaben sich mit der Kurzdistanz zufrieden. Ein Belgier gab massive Schulterschmerzen an – er habe sich kürzlich von 14 km auf 1.3 km umgemeldet, da seine Schulter eine Langdistanz nicht mitmachen würde. Ich gab ihm später Ibuprofen, was er sehr dankbar annahm.
Ich war heilfroh, dass die Belgier einen Mietwagen hatten und mich somit zum Lido di Gozzano mitnehmen konnten. Wie dankbar ich denen war! Wir fuhren am späten Nachmittag zur Wettkampfbesprechung, welche etwas chaotisch und auf Italienisch und Englisch ablief. Keiner wusste so recht in welcher Schlange man sich für welche Distanz (es gab 1.3 km, 4.5 km und 14 km) anstellen musste. Ich stellte mich mit Guillaume – dem Belgier vom Hotel – in die Schlange ganz rechts und lernte dort Olivier Delfosse kennen, ein belgischer Extremschwimmer aus Brüssel, etwas über 50 Jahre alt, riesengroß und sehr locker drauf. Kurz bevor wir an der Reihe waren, drängelte sich ein junger selbstherrlicher Gigolo-Typ mit nacktem Oberkörper vor – Olivier nahm das sehr gelassen und meinte nur zu mir: „ich bin ohnehin schneller als er!“. Ich musste schmunzeln …
Olivier ist eine Schwimm-Maschine und erreichte in der Gesamtwertung den Platz 4 – genau 3h 16min hat er für die 14 km gebraucht – chapeau!
Im Bild unten bei der Siegerehrung ist er der Mann in der Mitte mit dem etwas exzentrischen Kostüm. Ich traf übrigens Olivier fünf Monate später beim Oceanman in Benidorm – wie klein doch die Schwimmer-Welt ist 🙂
Bei der Startnummern-Ausgabe (dort musste ich auch meine ärztliche Tauglichkeits-Bescheinigung vorlegen) bekamen wir eine aufblasbare orangefarbene Boje mit loser Schnur sowie drei Synthetik-Beutel mit sämtlichen Etiketten drin. Im Hotel musste ich mir erstmal Klarheit darüber verschaffen, welches Etikett wo hingehört. Auf allen Etiketten stand die Startnummer. Die Boje bekam das großflächigste Etikett. Die drei Beutel wurden ebenfalls mit Etiketten versehen. Erstaunlich war, dass die Verpflegungsbeutel keine Verpflegung enthielten. Gott-sei-Dank hatte ich einige Energieriegel aus Deutschland dabei – ich tat in jeden Beutel jeweils ein Riegel, ein Gel, eine kleine Flasche Wasser sowie eine Ibuprofen – letzteres brauchte ich aber während des Wettkampfes nicht – meiner Schulter ging es gut!
Der „Big Day“
Ich musste früh aufstehen, da der offizielle Start für die 14k Distanz bereits für 10h angesetzt war – und man sollte sich mindestens zwei Stunden vor dem Start am Lido di Gozzano einfinden, da von dort aus der Boot-Transfer zum anderen Ende des Sees stattfand. Auf der Hotel-Terrasse genoß ich bei schönem Seeblick meine Nutella-Brote und beherzigte mit dieser Art des Carbo-Loadings sicherlich den Ratschlag meines Sport-Artztes 🙂 Der Belgier – Guillaume – leistete mir Gesellschaft, und wir fuhren kurz darauf zum Lido di Gozzano. Wie gut, dass ich eine Mitfahrgelegenheit gefunden hatte – keine Ahnung, was ich ohne die Belgier gemacht hätte!
Am Lido angekommen, traf ich viele bekannte SchwimmerInnen aus Deutschland – mit von der Partie waren Hamza Bakircioglou (der den Bodensee in der Länge überquert hatte), Sabine Croci (die ein Jahr vor mir ebenfalls die Bodensee-Dreiländerquerung gemeistert hatte) und noch einige andere, die in der Schwimmer-Szene Rang und Namen haben. Da fühle ich mich als Rookie fast schon klein 🙂
Wir gingen dann alle auf ein Schiff, welches uns zum anderen Ende des Sees – nach Omegna – fuhr – die Überfahrt dauerte ca. 30 Minuten. Unterwegs kamen immer wieder Durchsagen auf Englisch und Italienisch – uns wurde die Schwimm-Route erklärt, und auf welcher Seite der Bojen wir schwimmen sollten. Außerdem konnten wir vom Schiff aus die drei verschiedenen Verpflegungs-Stationen sehen.
Als wir in Omegna von Bord gingen, kam etwas nervöse Stimmung auf. Jetzt ging es ans Eingemachte – ich hatte Mühe, mir die Schnur von der Safety-Boje (die jeder tragen musste) um die Hüfte zu binden – ich bat Olivier Delfosse mir zu helfen, und die Boje saß so perfekt, dass ich sie während des Schwimmens kaum bemerkte. Er machte noch schnell ein Foto von mir, und dann hieß es: bon voyage!
Obwohl es sehr heiß war – das Wasser hatte zudem eine Temperatur von ca. 25 Grad – schwammen nicht wenige mit Neo – für mich absolut unbegreiflich, da es mir so schon fast zu warm war. Aber manche legten es unbedingt darauf an, ihre Schwimm-Zeiten zu pushen – koste es, was es wolle!
Kurz vor 10 Uhr standen alle im Wasser – in einer ca. 100m langen Reihe – und warteten auf den Startschuss, der auch pünktlich erfolgte. Dann begann wieder das bekannte „Waschmaschinen-Feeling“ – so wie man es auch von anderen Schwimm-Wettkämpfen her kennt. Nach einem Kilometer riß das Feld auseinander, und ich konnte in aller Ruhe schwimmen.
Leider beschlug meine Schwimmbrille so dermaßen, dass ich die schöne Landschaft nur schemenhaft erkennen konnte. Ich war nur froh, dass ich die orangen Bojen (die ja jeder Schwimmer trug) trotzdem sah und mir daher Orientierung boten. Es kam mir so vor wie auf einer Straße – das Ganze glich einer orangefarbenen Prozession. Wenn ich nach vorne schaute, sah ich Bojen ohne Ende!
An den drei Verpflegungs-Stationen lief alles super nach Plan: auf der Boje hatte man seine Startnummer sichtbar angebracht, und die Helfer sahen schon von weitem, wenn man sich näherte. Sie warfen dann einem den Beutel mit dem Proviant zu – dieser Beutel war deutlich mit derselben Startnummer gekennzeichnet. Man selber blieb im Wasser, stärkte sich kurz und warf den Beutel anschließend wieder einem Helfer zu.
Ab der zweiten Streckenhälfte schwamm neben mir eine Frau im blauen Bade-Anzug. Ich rätselte: „das muss doch die Sabine Croci sein“. Denn einige Tage vorher hatte Sabine ihren neuen Badeanzug auf Facebook geposted. Manchmal war diese Frau schneller, dann überholte ich sie wieder. Das ganze Spiel ging so einige Kilometer lang. Später im Ziel stellte sich heraus, dass es in der Tat Sabine war – und nicht nur das: im Gegenzug erkannte sie meine blaue Badehose und rätselte ebenfalls, ob ich es sei, der die ganze Zeit neben ihr her schwamm. Wir beide mussten lachen!
Durch die regelmäßigen Pausen ging das Schwimmen recht gut – der befürchtete „Mann mit dem Hammer“ blieb aus. Nur die Hitze und das warme Wasser machte mir etwas zu schaffen. Aber lieber so, als im Eiswasser zu schwimmen 🙂
Auf den letzten Kilometern wurde es richtig voll auf dem Wasser – ich kam mir fast vor wie auf dem Jakobs-Weg: es kamen die anderen Schwimmer mit Kurz- und Mitteldistanz hinzu – erkennbar an den roten und gelben Bojen. Diese starteten zeitversetzt von der Isola San Giulia oder „Spiaggia Miami“.
Da ich durch die beschlagene Schwimmbrille kaum etwas sehen konnte, waren mir die anderen Schwimmer aus der Kurz- oder Mitteldistanz willkommene Vorboten für das baldige Finish. Aber bevor es in die Ziellinie ging, hatte ich an einer Stelle mit einer starken Gegenströmung zu kämpfen: schemenhaft sah ich zu meiner linken Seite eine Art Palazzo, welcher partout nicht verschwinden wollte – ich schwamm gefühlt ein Weilchen auf der Stelle.
Nach 4h und 42min erreichte ich endlich mein Ziel und war stolz, durch das Finisher-Tor zu laufen. Die Zeit war mir fast schon egal – bei dieser Lang-Distanz (und dann noch ohne Neo) ging es mir nur um das Ankommen!
Am Ziel wurde mir gleich die Finisher-Medaille umgehängt und das Fußband mit dem Chip abgenommen. Dann holte ich mir zwecks Stärkung vom Finisher-Buffet eine Portion Pasta und eine Dose Bier und zelebrierte meine „Gewalt-Tour“.
Kurze Zeit traf ich Hamza und Sabine wieder – beide kamen kurz nach mir ins Ziel. Wir umarmten und gratulierten uns herzlich! Kurz darauf kam noch Guillaume auf mich zu – er hatte ungefähr zeitgleich mit mir gefinished. Olivier Delfosse war ja schon seit ca. anderthalb Stunden im Ziel und hatte sich inzwischen gut erholt. Savoir-Vivre nach einer grande Torture 🙂